Wie stehen die Schweizer Parteien zur Digitalisierung?

Im Vorfeld der Eidgenössischen Parlamentswahlen am 22. Oktober 2023 spielte die Digitalpolitik bisher im Vergleich zu Themen wie Krankenkassenprämien, Energieversorgung, Klimawandel oder Zuwanderung noch keine zentrale Rolle. Die Regulierung von Künstlicher Intelligenz (KI), die Einführung der E-ID und des elektronischen Patientendossiers (EPD) oder Fragen rund um die Cybersicherheit werden trotzdem durchaus kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert. Wie aber stehen die Parteien zu diesen und anderen wichtigen digitalpolitischen Themen?

Das Online Magazin Inside-it.ch hat die Fraktionsparteien im Bundeshaus im Vorfeld der Wahlen zu zahlreichen digitalen Themen befragt. Als Teil der Reihe “Wahl-Report 2023” wurden seit Ende August wöchentlich Antworten der 6 Fraktionsparteien veröffentlicht, mit dem Ziel Wählerinnen und Wählern einen besseren Überblick über die Digitalkompetenz der Parteien sowie deren Standpunkte zu geben. Ich habe die Antworten der Parteien in meinem Beitrag eingeordnet. Sie zeugen von einer insgesamt guten Digitalkompetenz der Parteien und es fällt auf, dass ihre Standpunkte bei einigen wichtigen Themen, wie zum Beispiel der E-ID, nicht sehr weit auseinanderliegen.

Nachholbedarf bei der Digitalisierung der Verwaltung

Die Parteien sind sich einig in der Einschätzung, dass die Schweiz bei der Digitalisierung der Verwaltung noch viel Nachholbedarf hat. Den dringlichsten Handlungsbedarf sehen sie bei der Digitalisierung von Verwaltungsprozessen und dem Ausbau von digitalen Dienstleistungen. Insgesamt kritisch sehen die Parteien die Umsetzung von (grossen) Digitalisierungsprojekten innerhalb der Verwaltung, wobei das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen als ein Schritt in die richtige Richtung wahrgenommen wird. Einige Parteien kritisieren den Föderalismus und die zum Teil fehlenden Digitalisierungskompetenzen innerhalb der Verwaltung als Kostentreiber und als Gründe für den schleppenden Fortschritt.

Die Einführung einer staatlichen E-ID wird von allen Parteien grundsätzlich begrüsst und als eine Grundvoraussetzung für einen funktionierenden digitalen Service Public gesehen. Dabei werden Datensicherheit und ein gleichberechtigter Zugang beziehungsweise die Beibehaltung analoger Dienst betont. Dies deckt sich mit den Einsichten des Digitalisierungsmonitors 2023, dass Politikerinnen und Politiker aller Parteien den Übergang zu einem Digital-Only-Prinzip mehrheitlich ablehnen. Deutlich kontroverser ist die Einführung von E-Voting: die SVP lehnt dies wegen Manipulationsgefahr ab. Andere Parteien begrüssen digitale Wahlen und Abstimmungen zwar, aber vor allem als Mittel, um die politische Anteilnahme von bestimmten Gruppen wie Auslandsschweizern oder Menschen mit Beeinträchtigungen zu stärken. Auch das elektronische Patientendossier (EPD) wird von den Parteien im Grundsatz zwar unterstützt, aber die Sicherheit und der Datenschutz werden als wichtige Herausforderungen in der praktischen Umsetzung genannt.

Unterschiedliche Meinungen zur Cybersicherheit

Das Thema Cybersicherheit wird die Schweizer Politik in den nächsten Jahren verstärkt beschäftigen. Die Gefahren im Cyberraum steigen und auch die Wahrnehmung in der Bevölkerung wächst, nicht zuletzt durch prominente Vorfälle in der Schweiz unter anderem mit Angriffen auf NZZ oder Xplain, aber auch auf Schweizer Hochschulen.
Die Parteien stehen dem neuen Bundesamt für Cybersicherheit (NCSC) insgesamt positiv gegenüber, ebenfalls der Meldepflicht für Angriffe auf kritische Infrastrukturen. Weniger einig sind sich die Parteien darüber, ob diese Meldepflicht auch auf Unternehmen ausgeweitet werden sollte. Die Parteien, die eine solche Pflicht befürworten, wünschen sich ein schnelles Reporting mit möglichst geringem Aufwand.

Die Zuordnung des NCSC als ziviles Bundesamt innerhalb der Zuständigkeit des Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) wird zum Teil kritisch gesehen. Parteien wie die GLP und SP sehen insbesondere einen möglichen Interessenskonflikt zwischen den zivilen und militärischen sowie nachrichtendienstlichen Interessen, vor allem bei der Schliessung von kritischen Sicherheitslücken. Die SVP hingegen kritisiert die Umsetzung der Meldepflicht. Insbesondere sollten Angriffe und Schwachstellen erst dann gemeldet werden müssen, wenn sie abgewehrt respektive geschlossen wurden. In Zusammenarbeit mit der Digital Society Initiative der Universität Zürich hat sich inside-it.ch in einer dreiteiligen Reihe intensiv mit der neuen Schweizer Cyberstrategie beschäftigt.

KI-Regulierung als Streitpunkt

Wie soll die Schweiz sich im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) bzw. ihrer Regulierung positionieren? Bei diesem Thema besteht insgesamt wenig Einigkeit zwischen den Parteien. Die FDP vertritt den Standpunkt, ohne praktische Beispiele und relevant Gerichtsentscheide sei es noch zu früh, um einen Gesetzgebungsprozess anzustossen. Sie sieht die Verantwortung eher bei den betroffenen Branchen und setzt auf Selbstregulierung. Die GLP lehnt restriktive Regulierungen ab, fordert dafür aber Transparenz über den Einsatz von KI und sieht die Möglichkeit, den Umgang mit Daten gegebenenfalls zu regulieren. Die SVP lehnt Regulierungen als Innovations­bremse grundsätzlich ab, bis auf Ausnahmen wie zum Beispiel bei Haftungsfragen im Bereich Gesundheit.

Im Gegensatz dazu sehen die Grünen KI als eine Chance für die Schweiz, um gute regulatorische Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit zu schaffen und damit einen Standortvorteil zu erlangen. Sie sehen das Risiko, dass der gesellschaftliche Widerstand gegenüber der Technologie ohne Regulierung zu stark sein könnte. Die SP sieht die Notwendigkeit für eine Regulierung vor allem auch angesichts der Gesetzgebung auf EU-Ebene und plädiert dafür, diese Regelungen zu übernehmen oder anzupassen. Mitte und SP weisen zudem auf Risiken für das politische System der Schweiz hin, wie durch KI-generierte Falschinformation. Nichtsdestotrotz sehen alle Parteien die aktuellen Entwicklungen in Bereich KI als eine Chance, die die Schweiz nicht verpassen sollte.

Uneinigkeit bei der Cloud

Der Nutzung von Cloud-Dienstleistungen durch die Verwaltung stehen die Parteien insgesamt positiv gegenüber, aber nur solange die Daten in der Schweiz verbleiben oder ihre Verwendung und Speicherung nach Schweizer Standards garantiert werden kann. Die möglichen Effizienzsteigerungen durch Cloud-Lösungen sind dabei für Parteien wie FDP, SVP oder GLP besonders zentral.

Weniger Einigkeit herrscht hingegen bei der Umsetzung. Für hochsensible Daten setzen Grüne, Mitte, aber auch die SVP auf eine bundeseigene Infrastruktur, die SP begrüsst allgemein eine eigene Infrastruktur als Aufgabe des Service Public. Die GLP kritisiert hingegen, dass die Daten zu unterschiedlich seien, um alles in einem System zu realisieren, und auch die SVP sieht eine Swiss-Cloud-Lösung als technisch und kommerziell kaum umsetzbar.

Diskussionen zu den Post-Zukäufen

Die Strategie der Post mit einer Ausweitung ihrer Aktivitäten auf den digitalen Sektor wird von den Grünen und der Mitte durchaus als legitime Erweiterung ihres Grundauftrags gesehen. Dagegen sehen die anderen vier Parteien dieses Engagement eher kritisch, insbesondere wegen einer möglichen Schwächung des Wettbewerbs. Interessant ist, dass keine der Parteien die Einführung einer ersten Schweizer E-ID – die bereits 2017 lancierte SwissID – durch die Post als Bundesbetrieb thematisiert. Für Bürgerinnen und Bürger ist nicht immer sofort klar ersichtlich, dass es sich hierbei nicht um eine staatliche E-ID handelt.

Wie geht es weiter?

Die Realisierung einer sicheren, vertrauenswürdigen, staatlichen E-ID scheint quer über die Parteigrenzen hinweg eine hohe Priorität zu haben und, wie oben betont, herrscht bei dem Thema überwiegend Einigkeit. Ebenso wichtig wird in der kommenden Zeit die schrittweise Einführung des elektronischen Patientendossiers (EPD) sein, wobei die Parteien sich bei diesem Thema deutlich weniger einig sind. Neu angestossen hat der Bundesrat die Regulierung von grossen Kommunikationsplattformen, nicht zuletzt als Reaktion auf die neuen Regelungen der EU. Konkretere Schritte zur regulatorischen Umsetzung wird es aber wohl erst 2024 geben.

Die Schweizer Bevölkerung steht nach Erkenntnissen von Digivox, der nationalen Schweizer Digitalisierungsumfrage, dem Thema Digitalisierung durchaus positiv gegenüber. Und es ist davon auszugehen, dass sich die digitale Transformation in Zukunft wohl eher noch beschleunigen wird. Entsprechend ist es an den Parteien, die Digitalpolitik aktiv zu gestalten und ihr vor allem auch den nötigen Stellenwert einzuräumen.

Der “Wahl-Report 2023” zeigt aber auch, dass die Parteien dafür durchaus die nötigen Digitalkompetenzen mitbringen. Das liegt nicht zuletzt an Tech-affinen Politikerinnen und Politikern, die es laut einer Untersuchung von CH++ zumindest in allen grossen Parteien gibt. Auch wenn die Digitalpolitik im aktuellen Wahlkampf bisher wieder keine grosse Rolle gespielt hat, ergibt sich daraus insgesamt doch eine durchaus positive Zukunftsperspektive für die digitale Transformation der Schweiz.

Dieser Blog Post basiert auf einem Artikel, der am 18.10.2023 unter dem Titel “Wahl-Report: Die Antworten der Parteien im Vergleich” im Online Magazin Inside IT erschienen ist. Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die Sichtweisen des Autors wider und in keiner Weise die Sichtweise der Institutionen mit denen er affiliiert ist.